
Wir fassen Fuß in unserem Leben an der Algarve. Durch Luccas Schule kehrt schnell eine gewisse Struktur ein, an der wir uns entlanghangeln können. Für diesen ersten Anker an Normalität bin ich wirklich dankbar. Schnell merke ich, dass es aber auch eine große Herausforderung ist, zwei sehr gegensätzliche Welten miteinander zu vereinbaren. Hier im Tinyhaus Village leben viele Familien frei und ohne Schulpflicht. Sie bleiben unter sich, mit allen Herausforderungen und optischen Merkmalen (jemand nannte diese Staubfarbe, die sich einfach über alles drüber legt und die Kleidung nachhaltig verfärbt das „klassische Village-orange“. Wir pendeln zwischen den Welten, ich muss oder darf mit sehr viel Arbeit, Zeit und Nerven die Camp-Spuren täglich beseitigen und dafür sorgen, dass sowohl ich als auch Lucca sauber und gepflegt in der Schule, zu den „play-dates“ und den Kindergeburtstagen, die regelmäßig an den Wochenenden stattfinden erscheinen. Lucca fügt sich in alles wie selbstverständlich ein. Er lebt in diesen krassen Gegensätzen zwischen Wohnwagen und Luxus-Villen ganz ohne Bewertung, aber mit viel Neugier und Entdeckergeist und ist mir damit ein riesiges Vorbild.

Mit dem September kommen die ersten kühlen Nächte und es wird deutlich früher dunkel. Die Temperaturen des Atlantik fallen auf unter 20 Grad, der Wind wird kalt. Ich merke, was es heißt, im Rhythmus der Natur zu leben. Es bedeutet ständige Anpassung an Gegebenheiten von Außen, die man nicht steuern kann. An den meisten Nachmittagen ist es weiterhin sommerlich warm und ich bin sehr dankbar dafür. Der blaue Himmel Portugals und die heiße Sonne mit ihren täglich spektakulären Untergängen ist ein wichtiger Anker für mich. Das merke ich an den seltenen grauen Regentagen, die jetzt auch ab und an auftreten. Wir passen unseren Tagesrhythmus an die Außentemperatur an. Ich wasche meine Haare, wenn die Sonne das Wasser im Schlauch aufgewärmt hat und Duschen muss vor Sonnenuntergang passieren, da es schnell sehr kalt wird, sobald die Sonne weg ist. Es sind Rahmenbedingungen, die die Natur vorgibt und wir passen uns an. So sehr ich mich manchmal nach einer festen Behausung sehne und einem richtigen Badezimmer… wenn ich mich reindenke in feste Steinwände, weiß ich wieder, dass ich das nicht mehr möchte. Unser Tinyhaus wird der perfekte Kompromiss werden aus maximal viel draußen leben und doch das Gefühl eines Häuschens zu haben, dessen Wände aber dünn genug und die Fenster groß genug sind, um das Gefühl zu haben, die Anbindung an das Draußen und die Natur nicht zu verlieren.
Trotz allem merke ich, wie sehr mich dieses Leben im Moment Kraft kostet. Es lässt sich nicht verhindern, dass ich in Kontakt komme mit den Themen der Bewohner und des Bauprojekts im Village. Ich muss lernen, zwar auf dem Laufenden zu bleiben, aber mich nicht hineinziehen zu lassen in die persönlichen Geschichten und Grabenkämpfe, die manche Bewohner mit der Bauleitung haben. Es herrscht ein riesiges energetisches Chaos und da ich das so deutlich spüre, fühle ich mich oft sehr belastet. Ich darf lernen, das wahrzunehmen, aber mich auch abzugrenzen. Es kommen erste Zweifel auf. Ist das Leben in diesem Village eigentlich das richtige für mich? Auf der Suche nach schönen Spaziergangstrecken mit meiner Hündin finde ich Gegenden und Grundstücke, die mir so viel besser gefallen als unser Village, das zwischen Autobahn und Nationalstrasse in einer weniger schönen Ecke Lagoas gelegen ist. Ich hatte mich für das Village entschieden, da ich Angst davor hatte, ganz alleine auf einem einsamen Grundstück zu sitzen, niemanden zu kennen und keine Hilfe zu bekommen. Und es stimmt, die Nachbarschaftshilfe ist riesig. Es ist immer jemand für einen da, wenn man Hilfe braucht. Und doch hat es seinen Preis, so eng mit so vielen Menschen zusammenzuleben. Immer öfter setze ich mich auf ein völlig unberührtes und wunderschönes Grundstück, das zum Verkauf steht. Wir hatten uns im Winter erkundigt, aber da die Bebauungserlaubnis nicht vorhanden war, verwarfen wir den Gedanken an einen Kauf wieder. Ich frage mich immer mehr, ob das nicht ein Fehler war. Ich liebe dieses Stück Erde jeden Tag mehr. Die Energien sind hier so rein und wunderschön, dass ich jedes Mal glücklich und aufgetankt bin, wenn ich hier Zeit verbracht habe. Vor meinem inneren Auge steht mein Häuschen bereits hier. Ich habe den Platz ausgesucht, wo es eines Tages stehen wird und spüre die Kraft, die von diesem Ort ausgeht. Ich lege es jeden Tag in Gottes Hand oder die Hand des Universums, spüre aber auch, dass es meine Entscheidung braucht, was ich möchte. Eines Tages sage ich „Ja, ich will das“. Und ab da verändert sich meine Planung. Ich sehe das Village nur noch als Übergang zu etwas Schönerem. Ich schwanke zwischen Hadern, ob ich eine falsche Entscheidung getroffen habe und hoffnungsvollem Fokus auf eine neue Entscheidung in der Zukunft.

Eines Abends bricht alles über mir zusammen. Dinge laufen nicht, wie sie sollen, ich werde krank und sehe nur noch schwarz. Äußerlich funktioniere ich, aber innerlich breche ich völlig zusammen. Weinend sitze ich auf meinem unfertigen Grundstück und hadere mit so ziemlich allem in meinem Leben. Warum um alles in der Welt habe ich mir das angetan? Ich hätte es definitiv einfacher und bequemer haben können. Und überhaupt, bin ich mal wieder irgendwelchen vorgefertigten Wegen hinterhergelaufen, obwohl meine Intuition mir zuflüsterte, dass ein anderer Weg besser gewesen wäre für mich? Jetzt sitze ich hier und ich komme mir vor wie im Bootcamp des Lebens. In diesem Moment kommt ein Mensch zu mir und sagt einen Satz, der wie ein Pfeil in mein Inneres trifft. Ein freundlicher Mann, der mir Brot vom Bäcker mitgebracht hat, den ich vorher noch nie gesehen habe, heißt mich erst herzlich willkommen und wir sprechen kurz über das Leben hier im Village. Dann sagt er den einen entscheidenden Satz, der mich aus meiner inneren Verzweiflung reißt: „Weißt du, bei allen Schwierigkeiten – das, was du hier lernst, ist zu erkennen, was du wirklich in deinem Leben willst. Hier wirst du mit der essenziellen Frage konfrontiert: Auf was kommt es dir wirklich an im Leben?!“ Dann geht er wieder und ich bin mir nicht sicher, ob dieser Mensch wirklich da war, oder ob irgendein Engel zu mir gesprochen hat. Aber das Roggenbrot vom deutschen Bäcker in Silves liegt neben mir, also muss er hier gewesen sein… Ja, genau das ist es. Hier wird mir jede Bequemlichkeit weggerissen, alle äußeren Anker und Sicherheiten haben sich aufgelöst, die knallharten Campbedingungen enttarnen jeden überflüssigen Schickschnack und geben täglich eine glasklare Antwort, was funktioniert und was nicht. Ich komme an Grenzen, von denen ich vorher gar nicht wusste, dass ich sie habe, ich lebe unter Bedingungen, die ich mir vorher nicht ausgemalt hätte und ich wuppe jeden Tag das Unmögliche. Ich bin ganz und gar auf mich selbst geworfen, stehe in der allerersten Reihe und alles, was ich tue und entscheide, wirkt sich unmittelbar auf unser Leben und unseren Alltag aus. Es ist, als ob ich das Leben wie unter einer riesengroßen Lupe anschaue und jede Unreinheit und jede Unstimmigkeit sofort riesengroß wahrnehme und gezwungen werde, mich damit auseinanderzusetzen. Ja, ich darf jetzt herausfinden, was mir persönlich wichtig ist im Leben und wie ich es gestalten möchte. Den Kopf in den Sand stecken ist definitiv keine Option, also heißt es immer wieder aufstehen, immer wieder neu entscheiden, im Kleinen und im Großen. Ich erlebe, was es heißt, Schöpfer meines Lebens zu sein. Es gibt kein Kneifen mehr, kein feiges Ausweichen, kein Verstecken. Das Leben muss angepackt werden, jeden Tag. Aber nicht nur das. Ich darf jetzt lernen, neben der männlichen Energie des Entscheidens und Anpackens mich im gleichen Maße fallen zu lassen in die höhere Führung, die weiblichen Energien ihre Kraft entfalten lassen. So Vieles kann ich nicht beeinflussen, es wird mir einfach geschenkt. Begegnungen, Fügungen, Impulse, „Zufälle“. Es fällt mir sehr schwer Dinge einfach loszulassen, ins totale Vertrauen zu kommen, dass sich das Richtige fügen wird. Doch genau diese Balance darf ich lernen. Im Bootcamp Portugal. Dem Land mit der heißen Sonne und dem kalten Atlantik.

Trage dich gerne in meinen Newsletter ein, wenn du benachrichtigt werden möchtest, wenn ein neuer Blog-Artikel online geht. Ich freue mich so sehr, wenn du meine Reise begleitest!
Neueste Kommentare